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Graf X, der Held aus der Zukunft in der Vergangenheit

Geschichte - Design - Personal

Kleine Graf-X-Farbenlehre

Als Multitasker aus Leidenschaft arbeite ich immer an mehreren Themen gleichzeitig, erlaube aber auch, daß die Arbeiten dabei aufeinander abfärben. Ein Beispiel dafür ist dieser Text, den ich während der Recherchen an einem Baudrillard-Aufsatz zur Ablenkung geschrieben und zur späteren Überarbeitung gespeichert habe. Hier also meine Ideen zum Umgang mit Farben allgemein und bei Graf X im Besonderen.

Graf X ist mein erster vollständig kolorierter Comic. Den ungeschriebenen Gesetzen der Alternativpresse folgend, habe ich alle bisherigen Comics in leicht reproduzierbarem Schwarzweiß angelegt und höchstens mal Titelbilder, Merchandising-Gimmicks oder Web-Nachbearbeitungen koloriert. Im Druck ist schwarzweiß eben billiger, beim Fotokopieren sogar noch deutlicher.

Briefmarkenmotiv für Graf X, mit den bekannten FarbenBriefmarkenmotiv für Graf X, mit den bekannten Farben.

Im Web fällt der Imperativ der Druckkosten natürlich weg. Nicht nur, weil die Druckkosten wegfallen - am Bildschirm wirken Stilmittel wie Schraffuren und Raster, die im Druck Schattierungen simulieren, nicht auf die gleiche Weise, sie verwirren schlimmstenfalls und kosten auch noch Speicherplatz. Farbflächen dagegen wirken übersichtlich und sparen Bits. Es wäre also logisch, im Netz alles farbig zu präsentieren - wenn es nur um praktische Belange ginge. Aber nach fast vierzig Jahren Alternativcomics ist schwarzweiß inzwischen mehr als ein Kostenfaktor - es ist ein Chiffre für "independent", das man nicht einfach ablegt. Und ich mag's. Außerdem, wenn die Comics AUCH als schwarzweiße Druckwerke erscheinen, ist das Kolorieren geistig immer noch ein Zusatzaufwand.

Graf X unterlag von anfang an nicht diesen Beschränkungen. Graf X ist ja nicht nur Comic, sondern auch Werbung, außerdem in erster Linie ein Web-Produkt. Und er sollte nie seine independent-Herkunft zu Markte tragen, sondern von vornherein professionell wirken und, naja, kommerziell.

Wir (Graphixx und ich) haben großen Wert drauf gelegt, die richtigen Farben für diesen Comic zu finden. Von anfang an war klar, daß wir ausschließlich mit Farbflächen arbeiten würden, nicht mit Farbverläufen. Für mich als Teilzeitpurist bedeutete das auch, keine athmosphärischen Filter über die Zeichnungen zu legen, um die Farben einander anzugleichen. Entweder es paßt, oder es kommt nicht rein.

Briefmarke für Graphixx, Variation mit weniger bekannten FarbenBriefmarke für Graphixx, Variation mit weniger bekannten Farben.

Eine gute Palette fanden wir bei Figma, einer unbezahlbaren Resource für Comicschaffende im Netz. Jemand hatte eine Farbpalette, basierend auf Marvels Vorgaben, zusammen- und zur Verfügung gestellt, die vorrangig aus hellen, gedeckten Farben bestand. Was auch immer wir mit diesen Farben bearbeiteten, bekam einen nostalgischen Touch. (Ich benutze sie nur noch, auch bei anderen Arbeiten. Letztlich braucht man keine vorgegebene Palette, wenn man Millionen Farben zur Verfügung hat, aber ich habe gerne eine übersichtliche Grundlage.)

Die Marvel-Palette bietet auch eine Reihe von knalligen Tönen, die mir aber unangemessen erscheinen. Die Farben in Graf X sind alle gedeckt, es gibt kaum ungemischte Töne, denn der Comic hat als Thema den Konflikt zwischen Aufbruch und Ordnung. Dieser drückte sich auch in den Farben und Formen der Fünfziger aus.

Wenn ich an die Fünfziger Jahre denke, drängen sich Gegensätze auf: Aufbruchsstimmung und Mief, grau und bunt. Die Fünfziger stehen für eine Befreiung der Formen wie der Farben. Die Formen orientierten sich an der Funktion wie an der Natur (die geschwungenen Konturen galten als natürlich; in Wirklichkeit waren sie ein Sieg des Gestalterischen über die Natur der Materialien; der Kultur über die Natur). Ebenso die Farben: sie beanspruchten die ganzen Ausdrucksmittel des Natürlichen, unter Ablehnung der natürlichen Farben der Stoffe. Was herauskam, ist von radikalerer Künstlichkeit, als es Natur ODER Kultur bis dahin hätten sein können. Dazu schreibt Jean Baudrillard in den Sechzigern: "Weil die Farbe nun einmal "Farbe bekennen" muß, wird sie der Aggressivität verdächtigt, und die Modelle lehnen sie ab, um den verinnerlichten, diskreten Tönungen, besonders bei Kleider- und Überzugsstoffen, den Vorzug zu geben. Als ob es eine Obszönität der Farben gäbe, scheint die Moderne, nachdem sie zuerst das Aufblühen der Farbe und das Aufspringen der Form hellauf begrüßte, nun beide verdammen zu wollen." Tatsächlich läßt sich in den Sechzigern eine Rückkehr zu kantigeren Formen und zu grauen und braunen Flächen beobachten. "Diese freien, "natürlichen" Farben sind es gar nicht, und darin liegt das Paradoxe: Sie sind nur die vergebliche Anrufung der Natur. Deswegen sind sie aggressiv und befangen, deswegen fliehen sie unter die Obhut eines Systems, das zwar nicht auf traditionell moralische Weise die Farbe verpönt, das aber trotzdem zum Kompromiß mit der Natur neigt: das Reich der Pastellfarben." (Beide: Jean Baudrillard, Das System der Dinge, Frankfurt 1991, S. 44f)

Noch ein Briefmarkenmotiv, diesmal verlasse ich mich allein auf die FarbenNoch ein Briefmarkenmotiv, diesmal verlasse ich mich allein auf die Farben.

Puritanismus unter der Flagge der Befreiung, Aufbruch und Repression in einem, Subversion als Spielart der Anpassung. Die Fünfziger waren so. Warum gilt diese Zeit dann aus heutiger Sicht als quietschbunt?

Es gab eine zweite Zeit der Pastellfarben, die späten Achtziger. Wenn ich jedoch eine Grundfarbe für jedes Jahrzehnt festlegen sollte, wäre die der fünfziger blaßrosa oder ein kräftigeres Mint, die der Achziger hellgrau. Ja, nicht mal das Grau dieser Zeit läßt sich zu einer klaren Aussage hinreißen, es ist vage, gebrochen. Andere bestimmende Farben sind blaßbeige, metallic, creme; lachsfarben wäre schon gewagt. Diese Pastellfarben sind nicht gedecktes Bunt wie in den Fünfzigern, sondern verkapptes Farblos. (Überhaupt, Creme, was soll denn das für eine Farbe sein? Es ist eine Substanz, wie alles in den Achtzigern formlos, eigenschaftslos, wasserabweisend und irgendwie glitschig.)

Dazwischen lag eine weitere Zeit des Aufbruchs, der Zügellosigkeit, in der auch die Farben sich noch einmal aufbäumten. Nachdem die Farben in den Sechzigern noch in einem, wenn auch unverblümten und damit schon wieder interessanten Graubraun verschwanden, würde ich als Grundfarbe für die Siebziger Orange vorschlagen, mit einem leichten Braunstich (oder ist das der Gilb?). Eine kurze Phase der völligen Entgleitung (jetzt kam endlich mal richtiges Pink zum Tragen) führte dann zur Paralyse. Die Musik wurde seicht, Konservatismus machte sich breit, und natürlich äußerte sich das auch in, naja, cremefarbenen Kostümen.

Das wird der Unterschied zu den Fünfzigern sein: die damaligen Pastellfarben waren ein Aufbruch vom Trümmergrau der Nachkriegszeit, die der Achtziger ein Rückzug in die Farblosigkeit der Kohl-Ära, die sich nicht mehr traute, eigene Statements, ob in Farben oder Formen, hervorzubringen. Dann kamen die Neunziger, die Farben wurden wieder losgelassen, richteten aber keinen Schaden an, weil es kein verbindliches System mehr gab, gegen das sie rebellieren konnten.

Inzwischen benutze ich die Marvel-Palette eigentlich immer als Grundlage, auch wenn das Ergebnis vielleicht nicht danach aussieht.Inzwischen benutze ich die Marvel-Palette eigentlich immer als Grundlage, auch wenn das Ergebnis vielleicht nicht danach aussieht.

Ich habe mich nie groß mit Farben befaßt. Als Kind der Achtziger ist das vielleicht kein großer Verlust, siehe oben. Wenn ich zeichnete, dann eher schwarzweiß, wenn ich malte, dann mit Grundfarben. Erst der Computer und das Internet haben mich zu einer Auseinandersetzung mit Farben gebracht. Spontan fühlte ich mich zu den gedeckten Farben dieser Palette hingezogen, wie ich auch vorher in Comics eher die gebrochenen, fast ins Einfarbige gehenden Kompositionen von Dave McKean (in Violent Cases oder Cages), José Villarubia (in Hellshock), Michelle Madsen (dauernd irgendwo) oder die kontrastreichen, emblematischen Farben von Lynn Varley (The Dark Knight Returns) bewunderte als das Durcheinander der frühen Image-Comics. Gute Koloristen ordnen sich weder unkritisch in Systeme ein noch knallen sie alles durcheinander, einfach weil sie es können; sie liefern sich eine Auseinandersetzung mit den Farben, und das Ergebnis zeigt, ob sie dabei irgendwas gelernt haben - oder ob die Farben den Kampf gewonnen haben. Idealerweise lernen beide Seiten voneinander.



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