täglich schreiben

terrain vague ist das Ergebnis einer ziemlich spontanen Idee anfang 2001. Ich überlegte mir, wie es wäre, einen Tagesstrip in dem Sinn zu schreiben, daß ich tatsächlich täglich eine Folge erstelle. Das wäre eine gute Zeichenübung, dachte ich. Und alle drei, vier Monate hätte ich genug Material für ein Comicheft, dachte ich. Aber so langsam, wie ich arbeite, wird das nie was, dachte ich. Am nächsten Tag fing ich an.

Die ersten paar Strips waren noch ein Stochern im Dunkeln, aber nach einigen Tagen schälte sich eine Handlung heraus, an der ich seitdem geblieben bin, und auch die Hauptfiguren nahmen Form an. Ein Vorteil der täglichen Arbeit mit Charakteren ist, daß sie dem Autoren unmittelbarer gegenüberstehen als Reißbrettfiguren, er lernt sie selber erst noch kennen. Der Nachteil ist natürlich, daß manche Sachen nicht auf Anhieb funktionieren. Das zu akzeptieren, ist der schwerste Teil für einen perfektionistischen Autoren wie mich. (Normalerweise zeichne ich keinen Strich, bevor nicht zumindest die Handlung bis ins Detail feststeht.)

Jede neue Serie geht durch eine Phase, in der erstmal mit den Charakteren experimentiert wird, ausprobiert wird, was in ihnen steckt, und in der auch mal Holzwege betreten werden. Selbst ausführlich konzipierte Serien müssen zunächst eine Trial-and-Error-Phase durchmachen. So können sie dem ursprünglichen Konzept entwachsen und ein eigenes Leben entwickeln. Einzelne Folgen von terrain vague zeigen die Figuren deshalb bei Handlungen, die in dem Moment völlig richtig und gut erschienen, von denen ich aber hinterher wußte: das machen die nie wieder. So erschien mir Bianca anfangs zu passiv und überwältigt, weshalb sie in einer Folge relativ überraschend Loki aufs Kreuz legt. Das war mir dann auch wieder zu brutal für sie, aber nachdem sie es einmal gemacht hatte, brauchte ich auch nicht wieder drauf zurückzukommen. Die Folge hat ihre Schuldigkeit getan: Niemand kann Bianca mehr für ein schwaches, hilfebedürftiges Weiblein halten, am wenigsten Loki.

Am dritten oder vierten Tag kam die erste „Erfindung“: ich zeichnete eine Schablone mit dem Umriß des Stripformats und Linien fürs Lettering, die eingescannt, gelb gefärbt und wieder ausgedruckt wurde. Auf diese Weise sparte ich jeden Tag eine halbe Stunde Arbeit. (Der Begriff „Erfindung“ ist natürlich verwirrend: soviel ich weiß, hat Will Eisner sowas bereits in den Dreißigern erfunden…)

Interessant war zu beobachten, welchen Ehrgeiz ich in diese zunächst noch völlig ziellose Arbeit setzte. Ich ging früher von Parties weg, um noch schnell vor dem Schlafengehen den verschleppten Strip des Tages rauszuhauen, und selbst an Tagen, an denen ich dachte, heute schaffe ich gar nichts mehr, fand ich mich mitten in der Nacht am Schreibtisch, weil mir im letzten Moment noch was eingefallen war oder ich nicht schlafen konnte. Einigen Strips sieht man an, daß ich krank war oder unter Zeitdruck stand, anderen sieht man dafür den Spaß an, den ich dabei hatte.

Natürlich gab es auch keine vorausgehenden Stilübungen. Einige Strips sind schraffiert, andere haben Schwarzflächen, manche beides. Einige sind mit Pinseln getuscht, andere mit Filzstiften, natürlich verschieden dicken, je nachdem, was gerade zur Hand war. Biancas Kapuzenjacke sieht mal so, mal so aus, und in vielen Folgen habe ich ihren Ohrring vergessen. Die anderen Figuren, besonders Loki, verändern sich während der ersten zwanzig Auftritte massiv. Das ist okay, war beim ersten Asterixband ja auch so. (Ehrlich, vergleiche mal Obelix am Anfang mit Obelix auf der letzten Seite.)

Inzwischen habe ich eine genauere Vorstellung davon, was terrain vague für mich ist, und ich hoffe, ich kann sie gut genug vermitteln. Die eigentliche Serie fängt gewissermaßen danach erst an. Bis dahin muß ich das mit dem täglichen Schreiben endlich mal richtig hinkriegen.

jähling, im Juli 2001